Gesetz­liche Unfall­ver­si­che­rung – Sturz beim Tablet­ten­holen

Das Lan­des­so­zi­al­ge­richt Berlin-Bran­den­burg (LSG) hatte zu ent­scheiden, ob es sich bei dem nach­fol­genden Sach­ver­halt um einen von der gesetz­li­chen Unfall­ver­si­che­rung abge­deckten Arbeits­un­fall han­delt. Eine Arbeit­neh­merin trat kurz vor 6 Uhr ihre Früh­schicht in einer Näherei an. Ihren Pkw hatte sie in der Nähe des Betriebs auf einem öffent­li­chen Park­platz abge­stellt. Gegen 9.30 Uhr bemerkte sie, dass sie die von ihr regel­mäßig ein­zu­neh­menden Epi­lepsie-Tabletten in ihrem Pkw ver­gessen hatte. Da ihre Schicht erst gegen 11 Uhr enden sollte, ging sie zu ihrem Auto, um die Tabletten zu holen. Auf dem Rückweg zur Arbeit stürzte sie auf einem Fußweg und brach sich das rechte Hand­ge­lenk.

Das LSG ent­schied, dass dies nicht unter dem Schutz der gesetz­li­chen Unfall­ver­si­che­rung stand und somit kein Arbeits­un­fall vorlag, denn die Ein­nahme von Medi­ka­menten gehört nicht zu den arbeits­ver­trag­li­chen Pflichten, son­dern ist dem nicht ver­si­cherten, per­sön­li­chen Lebens­be­reich zuzu­ordnen. Hätte die Frau mit der Ein­nahme der Epi­lepsie-Tabletten bis zum Schich­tende gewartet, wäre ihre Arbeits­fä­hig­keit nicht gefährdet gewesen. Besteht ein bloß abs­traktes Risiko, dass es ohne die regel­mä­ßige Ein­nahme der Tabletten wäh­rend der Arbeits­zeit zu einem Epi­lepsie-Anfall kommt, liegt die Ein­nahme vor­rangig im pri­vaten Inter­esse, also dem nicht ver­si­cherten Bereich.

Hin­gegen kann ein zum Ver­si­che­rungs­schutz füh­rendes, über­wie­gend betrieb­li­ches Inter­esse dann bestehen, wenn ver­ges­sene Gegen­stände geholt würden, die zwin­gend benö­tigt werden, um die Arbeit fort­zu­setzen. Dies hat das Bun­des­so­zi­al­ge­richt (BSG) etwa für das Holen einer Brille oder des Schlüs­sels für einen Spind bejaht. Ebenso hat das BSG ent­schieden, dass der Weg zum Mit­tag­essen wäh­rend einer voll­schich­tigen beruf­li­chen Tätig­keit grund­sätz­lich ver­si­chert ist. Dies ist dadurch begründet, dass erst die Nah­rungs­auf­nahme die Arbeits­fä­hig­keit auch für den Nach­mittag sicher­stellt. Diese Wer­tung lässt sich aber nicht auf das Holen ver­ges­sener Tabletten über­tragen, wenn deren Ein­nahme nicht zwin­gend erfor­der­lich ist, um die Arbeit fort­zu­setzen.