Ver­dienst­aus­fall bei unrich­tiger AU

Stellt sich heraus, dass eine Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gung (AU) feh­ler­haft war, der Arbeit­nehmer aber auf die Rich­tig­keit der AU ver­trauen durfte, kann ein Scha­dens­er­satz­an­spruch wegen Ver­dienst­aus­fall gerecht­fer­tigt sein.

In einem vom Bun­des­ge­richtshof (BGH) ent­schie­denen Fall arbei­tete der Geschä­digte in einer Wasch­straße. Am 8.5.2019 wurde er durch ein Fahr­zeug erfasst, ein­ge­klemmt und erlitt dadurch eine tiefe, klaf­fende Riss- und Quetsch­wunde am linken Unter­schenkel. Die volle Haf­tung war unstreitig. Eine fach­ärzt­liche Beschei­ni­gung wies eine Arbeits­un­fä­hig­keit vom 8.5.2019 bis zum 14.9.2020 (mehr als 16 Monate) aus.

Der Geschä­digte machte u.a. die Dif­fe­renz zwi­schen seinem letzten monat­li­chen Gehalt und dem Kran­ken­geld in Höhe von 2.257,44 € (16 Monate zu je 141,09 €) gel­tend. Nach einem Sach­ver­stän­di­gen­gut­achten soll der Mann jedoch schon wieder ab dem 5.9.2019 arbeits­fähig gewesen sein.

In ihrem Urteil führten die BGH-Richter aus, dass eine AU nicht nur dann vor­liegt, wenn es dem Arbeit­nehmer infolge Krank­heit unmög­lich ist, seine ver­trag­lich geschul­dete Tätig­keit aus­zu­üben. Sie besteht viel­mehr auch dann, wenn die Aus­übung der geschul­deten Tätig­keit aus medi­zi­ni­scher Sicht nicht ver­tretbar ist, etwa weil die Hei­lung nach ärzt­li­cher Pro­gnose hier­durch ver­hin­dert oder ver­zö­gert würde.

Der geschä­digte Arbeit­nehmer ist bei seiner Ent­schei­dung, ob er trotz seiner ihm vom Schä­diger zuge­fügten Ver­let­zung seine (ver­blie­bene) Arbeits­kraft dem Arbeit­geber anbieten oder hiervon im Inter­esse seiner Gesund­heit absehen soll, in vielen Fällen auf die Ein­schät­zung des ihn behan­delnden Arztes ange­wiesen, ins­be­son­dere wenn es um die Frage geht, ob durch die Auf­nahme der Arbeits­tä­tig­keit die Hei­lung nach ärzt­li­cher Pro­gnose ver­hin­dert oder ver­zö­gert würde.

Für einen Anspruch auf Ersatz des Ver­dienst­aus­falles ist es nicht zwin­gend erfor­der­lich, dass objektiv eine ver­let­zungs­be­dingte Ein­schrän­kung der Arbeits­fä­hig­keit vor­ge­legen hat. Der Geschä­digte kann einen zu erset­zenden Ver­dienst­aus­fall­schaden erleiden, wenn er berech­tig­ter­weise auf die ihm ärzt­li­cher­seits beschei­nigte Arbeits­un­fä­hig­keit ver­traut und des­halb nicht zur Arbeit geht.

Da die Vor­in­stanzen nicht prüften, ob der Mann berech­tig­ter­weise auf die ärzt­liche Beschei­ni­gung ver­traute, wurde der Fall zur erneuten Ver­hand­lung an das OLG zurück­ver­wiesen.